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25.11.23
„poesie tradiert zukunft.“ (hans magnus enzensberger)
„so gering, statistisch betrachtet, ihre ausbreitung ist, so unabsehbar ist ihre wirkung; poesie ist ein spurenelement. ihr bloßes vorhandensein stellt das vorhandene in frage, deshalb kann die gewalt sich nicht mit ihr abfinden.“
(hans magnus enzensberger)
19.11.23
„die ereignisse von damals tauchen auf und sind jetzt von einer neuen kompaktheit, die weit über das alte, unmittelbar erlebte hinausgeht. das vormals stumme spricht jetzt in seiner eigenen sprache, die ich in die meine zu übersetzen versuche.“ (ilse helbich)
3.11.23
„verwandlung meint eine beziehung zum anderen – mensch, tier, ding –, die von empathie getragen, ja geradezu die vollendung der empathie ist. sie vollbringt das, was sich in der masse nur als vorübergehende erlösung und illusorisches glück einstellt: überwinden der trennwände, selbstentgrenzung und selbstlosigkeit. sie ist das rettende gegenbild zur einverleibenden macht.“ (https://www.deutschlandfunk.de/fluechtige-gluecksmomente-100.html)
16.10.23
„(…) zu warten, zu horchen, dasein; sich offenhalten, ohne zusicherung einer antwort, eines gefunden-werdens.“ (ilse helbig)
15.10.23
es ist nicht lang her, sondern weit weg.
„begrenzte gebiete / voller nachschub und antrieb“ (kirstin schwab in: wir teilen unser ungleichgewicht)
11.10.23
inhalt womöglich als nachträglicher effekt einer gelungenen form.
10.10.23
„das gehirn ist die verarbeitung und es ist der speicher. je mehr der speicher gespeichert hat, desto besser kann er verarbeiten.“ (manfred spitzer)
4.10.23
die weiche geklärtheit des einsetzenden herbstlichts.
9.9.23
da, wo man hängenbleibt, ist der anfang.
27.8.23
„es gibt eine zukunft, wenn man sie zulässt.“ (jonathan meese)
16.8.23
so dunkel war die nacht noch nie; so fern das rauschen der stadt. es riecht wie im regenwald, die luft steht still und noch immer tropft es in den bäumen. einzig zwei grillen durchmessen die gärten in ungleichen rhythmen.
so dunkel war die nacht noch nie, namenlos und irgendwo geh ich zu bett. die bäume tintenschwarz – diese wiederkehrende abwesenheit des lichts. und damit verbunden stets die frage, was nachts mit dem grün der blätter geschieht.
15.8.23
das licht
umhüllt sein abseits
& er sagt
ja
ein glockenspiel im wind
das rauschen der linden
sommers
raucht er zigaretten
hört fauré
& schließt sich
leise in die stille ein
sinken; tiefer
immer tiefer
ins zeitmeer
eingetaucht
braucht er nicht viel
außer raum
14.8.23
„karthäusernelke. – dem liebenden erscheint der geliebte mensch immer einsam.“ (walther benjamin in: einsamkeiten. ein lesebuch, s. 45)
6.8.23
kunst – während der produktion sowie danach – als eine bestimmte form, mit der welt in beziehung zu treten.
5.8.23
„da, wo du zärtlich bist, sagst du deinen plural.“ (roland barthes)
19.7.23
das weite suchen
18.7.23
sommers, die barocken wolkenformationen über der stadt.
13.7.23
instant sediments
11.7.23
die lindenblätter propellern nach unten.
3.7.23
der garten zirpt dunkel
am offenen fenster –
sonst nichts
2.7.23
der raddampfer
flussaufwärts
wird immer kleiner
und leiser
die musik
die bäume am ufer gegenüber
rauschen
im schrägen licht
brechen die wellen
als modelle –
hier beginnt die ferne
hier berührt der himmel
das wasser
den fluss
hier steigen sie um
vom einen fließen
ins andere
und neigen sich
gemeinsam einzeln
dem außen zu
kritzendorf, 2.7.23
25.6.23
„die zeit verwandelt uns nicht, sie entfaltet uns nur. indem man es nicht verschweigt, sondern aufschreibt, bekennt man sich zu seinem denken, das bestenfalls für den augenblick und für den standort stimmt, da es sich erzeugt.“ (max frisch, tagebuch 1946–1949)
22.6.23
word-life-balance
12.6.23
„denn nicht das zerstörte ängstigt, sondern das gebliebene.“ (günther anders)
8.6.
ich bin nichts, aber das mit kontur.
6.6.23
immer wenn es regnet, regne ich auch.
16.5.23
ich am weg, bin.
9.5.23
„zukunft ist von außen wiederkehrende erinnerung; daher hat die gedächtnislosigkeit keine.“ (ulrich sonnemann)
27.4.23
eine krähe pickt auf einer krähenattrappe herum, während es abend wird; an der endstation wartet ein bus. rundherum bewaldete hügel, amselmelodien, himmel. die noch geöffnete eisdiele leuchtet in den abend und fern flimmert stadt.
13.4.23
all i have is bittersweet.
5.4.23
es rüttelt ein span
sich frei
aus dem tief seiner haut
:
nun
fährt er fort
30.3.23
„das unbewusste spricht und denkt. das unbewusste ist nicht das reservat wilder triebe, die vom ich gezähmt werden müssen, sondern der ort, an dem sich eine traumatische wahrheit äußert. darin besteht lacans version von freuds motto wo es war, soll ich werden: nicht das ich soll das es besiegen, den ort der unbewussten triebe einnehmen, sondern ich muß es wagen, mich dem ort meiner wahrheit zu nähern. was mich dort erwartet, ist keine tiefe wahrheit, mit der ich mich identifizieren muß, sondern eine unerträgliche wahrheit, mit der zu leben ich lernen muß.“ (vgl. slavoj žižek: lacan. eine einführung, s. 11 ff.)
23.2.23
zeitschnüre am heimweg
22.2.23
es kreist der staub beständig um sein ziel.
13.2.
sinn und dessen entstehung: womöglich die letzten und einzigen, nie zur gänze kommodifizierbaren größen.
2.2.23
sinn sich flicht
1.2.23
weite entsteht erst im verhältnis.
22.1.23
„durch das nadelöhr seines ichs muss er hindurch ins allgemeine.“ (hilde domin)
10.1.23
tonnenweise tote tannen
6.1.23
12 grad anfang januar, kurz vor dämmerung. zwei krähen sitzen nah beieinander im kahlen geäst; sitzen da, blicken umher. ab und an scheinen sich ihre schnäbel zu berühren. oberhalb flattert eine erste fledermaus und ich höre ein flugzeug in den wolken verschwinden.
27.12.22
wissensinseln statt bildungslücken
5.12.22
bergdörfer voll hortensien
29.11.22
vor & rücksicht
um & nachsicht
kurz & weitsicht
dazu etwas einsicht –
mehr bräucht es nicht
23.11.22
leere
als boden
ungewiss behaust
getragen
im offen
weit umgrenzt
21.11.22
himmelsrippen
nachthellgewölk, ziehend
freiraum sterne
nichts zu hören
obwohl großstadt
nichts
ist
da draußen
irgendwas großes
20.11.22
als die flüsse mit ihren mäandern, umgeben von auen und sumpfland, noch ganze täler ausfüllten (bei pieter bruegel d.ä.).
10.11.22
wären menschen handydisplays, so würde ihnen genug aufmerksamkeit zuteil.
„die eigentliche lehre der psychoanalyse ist, daß das menschliche leben nie einfach ‘nur leben’ ist: menschen sind nicht einfach lebendig, sie sind besessen von dem seltsamen trieb, das leben exzessiv zu genießen, und hängen leidenschaftlich an einem überschuß, der hervorsticht und den normalen gang der dinge zum scheitern bringt.“ (slavoj žižek)
30.10.22
die forststraße hinauf, zwei drei kehren im steilen buschland; fast schon serpentinen. unter hochspannung hindurch, vorbei an hochsitzen, die am ende der schneisen lauern – da und dort rosa salzstein in einem baumstrunk. später mitten im wald: noch immer sind autos zu hören, irgendwo im nebel die zersiedelte umgebung. vögel als ob frühling, die stämme erwartbar braun, laub: orange, gelb und alles dazwischen. in die lehne der bank mit etwas aussicht ist ein herz geritzt, über den abhang ragt eine kleine eiche hinaus; eichenlaub, matisse taucht auf, ein einziges blatt flattert. im grau erscheinen verschwinden lichter, rattert ein zug, flugzeug fern. inzwischen steht der nebel auch zwischen den bäumen und schnellen schrittes nähert sich die nacht.
23.10.22
„typische pionierhabitate können bei vulkanausbrüchen (lavaflächen, vulkanasche), großen bränden (vergl. karrikine), erdrutschen (schutt und geröll), veränderung der küstenlinie, überschwemmungen, nach dem rückzug eines gletschers, massenbewegungen oder anderen sedimentationen natürlicherweise entstehen. im kleinen maßstab ergeben sie sich ständig durch einfluss von tieren (fraß, wühltätigkeit). solche kleinen lücken können für die etablierung zahlreicher arten sehr bedeutsam sein. heute entstehen ausgedehnte pionierhabitate durch menschliche einwirkungen: nach künstlichen bodenbewegungen, in gruben und tagebauen und auf brach gefallenen nutzflächen.“ (wikipedia: pionierpflanze)
17.10.22
wieder dröhnen die großen blätter im fall
und landen schwer bei den anderen
erneut zieht auf ein lautloser sturm
die haufen werden größer,
die haufen
wachsen empor
:
kein gebläse nicht
löste sie
wie eine mauer dicht
heraus aus ihrem dunklen geröll –
verschlüsselt,
wer die lösung weiß; keine
angst,
sie behielten es für sich
13.10.22
„gleichzeitig bedeutet das, dass die wirklichkeit selbst eine art von lesbarer welt ist und kein fixum darstellt, das gänzlich anders als die bücher funktioniert. denn es gibt nichts in der welt und im selbst, zu dem wir einen direkten, von deutungen freien zugang besäßen. alles ist durch zeichen, symbole, sprache und texte vermittelt, ob es uns bewusst ist oder nicht. insofern beide, sowohl die wirklichkeit als auch die literatur, etwas in der schwebe halten und diversen deutungen offenstehen, sind sie nicht grundsätzlich voneinander zu trennen.“ (wikipedia: mimesis > paul ricœur)
9.10.22
du wald, du
wie deine ränder,
deine bunten flächen
im späten licht
mich erwarten, mir verheißung
sind und hafen
du wald, du
zusammen mit den feldern,
dem himmel und ferner
den bergen, dem meer
teil der wolken und flüsse,
ich suche dich auf –
teil meiner lichter
du wald, du
es reicht ein blick
auf eines deiner bilder
und ich bin ganz
2.10.22
der wind ist schon längst am werk
als ich ans offene fenster zum garten trete
:
nachthelles gewölk flugzeugblink fragment
eines folgetonhorns
26.9.22
nun wird das licht fahl, schräg aber klar
die wolken sich türmen, die blätter sich
fallend färben
nun wird der himmel weit, die stadt groß, und fremd
beginnt eine neue zeit –
neujahrsfest mitten im herbst
nun bricht der sommer entzwei, ist frühling fern
und dennoch aufbruch
nun kommen die düfte zurück, säumen platanen alleen
in ganz europa
nun treten die architektonischen formen wieder auf.
nun folgt blauer himmel auf nasskalte morgen
und die leute gehen, als führten sie ein anderes leben
nun dunkelt der flieder nach
und nach
bildet sich leis
ein meer am grund
25.9.22
„uns so verhalten, als hätte es eine bedeutung, als gäbe es prinzipien und normen, als existierte ein erlösendes und rettendes gutes, das unserem handeln einen sinn verleiht.“ (olga tokarczuk: übungen im fremdsein, s. 61)
20.9.22
die enorme sachlichkeit dieser wolken, frühabends (mitte september): hoch getürmt von grau bis weiß schattiert. kohleöfen in der kalten luft, klare sicht nach einem regentag mitten in die bewegung des dämmers hineinrollen. noch hell der abend, wie in einer anderen stadt. irgendwo, selbstvergessen in den hallen des herbsts; so hoch dieser himmel auf einmal – offen; nach oben hin offen und in jede richtung weit.
19.9.22
„aufbrechen aber nicht in sicheres fliehen.“ (jürgen becker: felder, s. 137)
14.9.22
„er entwirft zugleich ein gegenbild dazu, einen ausweg sowohl aus dem mangel wie aus dem überfluss: die kunst.“ (oskar roehler: der mangel, klappentext)
11.9.22
einer dieser
sonnigen samstagvormittage im september, wenn das licht bereits anders und die luft klar; der wind. herbstliche fülle am bauernmarkt mitten in der großen stadt. das leben von außerhalb einen tag lang zu gast; tauschgeschäft direktverkauf, erdig hand in hand. kaufe einen bund blumen apfelsaft trauben. da und dort ein kurzes gespräch. sehnen nach einem ort, an dem ich nie war und den ich trotzdem kenne; momentlang geborgen. alles zugegen, ich umwoben, fern und nah zugleich.
4.9.22
„jede tat ist ihr eigenes denkmal.“ (viktor frankl)
2.9.22 „charakteristisch für becker ist, dass die schrift immer in zusammenhang mit sinnlichen reizen steht. seine gedichte haben visuelle oder akustische auslöser, und in dem jeweiligen augenblick konstituiert sich das konkrete schreibende ich neu.“ (https://taz.de/gesammelte-gedichte-von-juergen-becker/!5863781/)
„immer wieder ist es jürgen becker gelungen, sich vom schweigen zu trennen, wie er es selbst sagt. und es ist eine große kunst – dieser dichter hat es konsequent bis in die gegenwart fortgeführt –, nicht sprachlos gemacht zu sein von den verstörungen, die der geräuschfilm der realität im kopf hinterlässt.“ (https://taz.de/gesammelte-gedichte-von-juergen-becker/!5863781/)